INGE SCHMIDT   Bildhauerin
Inge Schmidts eigene Ordnung

Die Arbeiten, die die Künstlerin Inge Schmidt seit vielen Jahren entstehen lässt, bewegen sich zwischen den Bereichen skulpturaler, objekthafter und zeichnerischer Dimension. Dabei bündelt die Künstlerin die angesprochenen Elemente in den jeweils entstehenden Arbeiten zu unterschiedlichen Gewichtungen. Die Plastiken enthalten zu einem gewissen Grad objekthafte und zeichnerische Elemente, die Objekte gerieren sich auch im Zwischenbereich zwischen Plastik und Zeichnung und die Zeichnungen erscheinen als Skizzen räumlicher und inhaltlicher Bedingungen. Eigenständigkeit der einzelnen Arbeiten ist unabhängig zum Kontext der künstlerischen Arbeit zu sehen, denn weder ist die plastische Arbeit aus dem Objekt entwickelt, noch das Objekt aus der Zeichnung und umgekehrt. Jede künstlerische Formulierung, die Inge Schmidt trifft, erweist sich als originär aus ihrer jeweiligen Situation heraus und tritt im Kontext des Werkes in einen ständigen Dialog mit den jeweils anderen Arbeitsmodulen.

Ein Atelierbesuch bei der Künstlerin gleicht einem Spaziergang durch potenzielle Ausstellungen. Dabei ist gerade die aufs Erste irritierende Vielfalt und Dichte der in ihrer Ateliersituation zusammengefassten Arbeiten ein wichtiges Kriterium ihres gestaltenden Ansatzes. Die Dialogfähigkeit ihrer einzelnen Werke unter- und miteinander und das daraus resultierende " leise Gespräch", das die Künstlerin und in der Nachfolge der Betrachter mit diesen Objekten und plastischen Arbeiten aufnimmt, verwandelt jeweils den Raum, in dem sich Schmidts Ausstellungsinstallationen befinden, in einen Kosmos voll von einzelnen Individuen, die sich in größeren und kleineren "Sozialgruppen" zueinander gesellen und ein höchst lebendiges, eigenständiges Leben zu beginnen scheinen.

Die Zwangsläufigkeit - die scheinbare Beiläufigkeit - mit der Inge Schmidt ihre künstlerische Arbeit formuliert, lässt sich in erster Linie an den Materialien ablesen, die sie verwendet. Das Fundstück wird im Kontext seiner Eigenständigkeit immer wieder zu neu gestalteten Ansätzen moduliert und mit weiteren neuen Elementen zusammengeführt. Dabei entwickelt sie Form zu Form und Element zu Element und kommt auf diese Weise zu immer neuen Variationen eines Grundvokabulars von Formen und Elementen, die oft eine spielerische Leichtigkeit haben, die ihrer Arbeit unverwechselbar eigen ist. Grundelemente dieser künstlerischen Gestaltung sind Hölzer, auch solche in ihrer besonderen Gewachsenheit, leichte Materialien wie Papier, Pappen, Organisches wie Stoffe, Pflanzliches und Schnüre. Alles das "verwebt" und "verschachtelt" die Künstlerin zu Gestaltformen, die den Betrachter im Sinne eines "Gegenübers" an Figürliches oder an aus Alltagssituationen her bekannte Zustände erinnern, die sich im Zwischenbereich von Inhalt und Funktionalität wieder finden. Diesen Objekten, deren "Sinngebung" der Künstlerin durchaus bewusst ist, verleiht Inge Schmidt ein Eigenleben. Sie setzt sie in den Raum und lässt sie dort gleichsam naturwüchsig ein Umfeld für sich erstreiten.

In den Zeichnungen, die Inge Schmidt parallel zu ihren plastischen Arbeiten entwickelt, finden sich zunächst scheinbar analoge Elemente zu ihrer plastischen Welt. Bei genauer Betrachtung erweisen sich die Zeichnungen aber keinesfalls als Vorzeichnungen oder Skizzen zu den entstandenen dreidimensionalen Objekten, sondern erheben eine Eigenständigkeit, die sie gleichbedeutend neben das plastische Werk setzen. Die Verbindung jedoch, die sich zwangsläufig in der Wahrnehmung von Zeichnung und Objekt im Raum ergibt, ist eindeutig und lässt den stattfindenden Beziehungsdialog der skulpturalen Objekte untereinander gleichsam auf der Wandfläche weitergehen.

In stelenartigen "Schnittstücken", jüngeren Arbeiten, hat Inge Schmidt die plastische Formsprache weiter reduziert. Aus einem Stück geschnitten, erweisen sich die sparsam rythmischen, segmentierten Vertikalen als Gestalten im Raum, die in ihrer "Haltung" zum Bezugspunkt für den Betrachter werden. So, als ob der Betrachter sich in den schlanken Objekten selbst wieder findet, wandelt er zwischen den Skulpturen und erkennt dabei seine eigene Bezüglichkeit auf die Gestaltung selbst.

Die ständig variierende und sich in einem dauerhaft verändernden Prozess befindliche Ateliersituation, in der Inge Schmidt mit verschiedenen Arbeitsmitteln immer neue Werkstücke formuliert, überträgt sich in gewissem Grad auf die Ausstellungskonzeptionen. Auch hier wird eine Situation durch die Künstlerin vorgegeben, in der die einzeln gesetzten Raumelemente einen zunächst scheinbar zufälligen und erst in der Auseinandersetzung der Betrachtung erkennbar inhaltlichen Ort in der Gesamtgestaltung einnehmen. Jene Gradwanderung zwischen zufälliger und präzise platzierter Raumsetzung lässt den Betrachter möglicherweise einer Situation begegnen, die ihn zunächst verunsichert, ohne ihn jedoch in Irritation zurückzulassen. Er selbst muss sich "zurecht finden" in diesem scheinbar chaotischen, aber wohl gesetzten Zusammentreffen verschiedenster Individualitäten, von denen er selbst letztlich eine ist. Der Kontext wird erst im Verlauf der Betrachtung deutlich. Immer wieder lassen sich neue Beziehungsstränge, Bezüge, Korrespondenzen, Entwicklungen und Prozesse ablesen, die die einzelnen skupturalen Objekte untereinander, aber auch mit den Zeichnungen an den Wänden aufnehmen und so aus dem scheinbar unendlichen Aufkommen von Individuen wieder eine homogene Gruppe von Gestalten werden lässt, die bei unterschiedlichster Eigenheit einem deutlich gemeinsamen Gestaltungsziel folgen.

Gabriele Uelsberg