INGE SCHMIDT   Bildhauerin
Inge Schmidt

Breit gefächert ist das plastische Werk der Künstlerin Inge Schmidt. Manche ihrer Skulpturen sind eine Sache für sich (und nur dies), andere erinnern an irgendwie zu gebrauchende Gegenstände. Bei einem orientierenden Überblick könnte sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine an Assoziationen orientierte Gruppierung ergeben, die unterscheidet zwischen Arbeiten, die an Architekturen, Möbel und Behälter, Pflanzliches und Gewachsenes, Wachsendes, an freie Konstruktionen und gelenkige Bewegungsstudien denken lassen. Ebenso wäre eine Einteilung nach Aufenthaltsorten möglich, was in der Terminologie der Künstlerin heißt, von Bodenstücken, Tischstücken, Wandstücken und Standstücken zu sprechen. Zöge man noch die umfangreiche zeichnerische Produktion hinzu, so kämen zudem figurative Aspekte mit ins Spiel.

Ein verbindendes Merkmal aller „Stücke“ – so eine der von Inge Schmidt genutzten Bezeichnungen für ihre Skulpturen – ist ihre Stofflichkeit, ihr Kolorit. Hell sind die einfachen, oft gebrauchten, für sich wertarmen Materialien: Pappe und Papier, Holz, Gips, Schnur. Auch Tuch und Folien sind zunächst Material, erst auf den zweiten Blick haben sie auch Farbe, wie sich überhaupt die subtile Farbigkeit dieser Stücke nur peu à peu zeigt. Weiß und Grau (eher hell als dunkel) dominieren; dann aber taucht Rosa auf, wie ein Hauch, eine Belebungsfarbe, und Blau, das klare, mitunter fast harte Akzente setzt.

Wie Improvisationen, spielerisch entstandene Gefüge muten die Arbeiten an, deren präzise Rhythmik jedoch – und dies wäre eine weitere Konstante – zeigt, wie planvoll sie gegliedert sind. Dies kann Details wie eine gleichmäßige Papierfaltung, die Platzierung von konstruktiv notwendigen Nägeln oder Tackerklammern betreffen und sich ebenso auf die Gliederung einer Arbeit im Ganzen erstrecken, etwa im Aufbau zahlreicher Schnittstücke aus gleichartigen Partien.

Ein grundsätzliches Anliegen ihrer Arbeit formulierte Inge Schmidt in einem Gespräch mit Justinus Maria Calleen: „Das, was mich interessiert, ist, von der Schwere am Boden wegzukommen. […] Masse an sich ist mir unsympathisch.“ Und so sind neben der Leichtigkeit aller Arbeiten häufig Aufrichtungen und organisches Emporwachsen, Bewegungen, die vom Boden, einer Unterlage wegstreben, zu beobachten. Es können riskant anmutende überkopfhohe Schnittstücke mit erstaunlich kleinflächem Bodenkontakt sein. Nicht anders die an Tische und Stellagenerinnernden Arbeiten. Wie die Schnittstücke im Raum schaffen sie einen diskreten und doch merklich markierten Ort. Geprägt durch stets leere Flächen, die vom Boden mittels Beinen, einem oder mehreren tragenden Elementen abgehoben sind, machen sie den Wunsch augenfällig, von der „Schwere am Boden“ wegzukommen.

Nicht als Widerspruch, vielmehr als komplementäre Ergänzung dazu können die Raum umhüllenden, bergenden, oft auf dem Boden lagernden Stücke verstanden werden. Nie sind diese Gehäuse massive Gebilde oder hermetisch verschlossen, stets weisen sie Durchlässe, Öffnungen auf, die sie mit dem Umraum verbinden, Licht einlassen, teilweise Einblick gestatten. Sie fungieren als (Innen)Raum im Raum, schaffen Aufenthaltsorte, Areale der Imagination.

Inge Schmidt beschäftigen körperliche und dingliche Grundverhaltensweisen wie Stehen, Aufrichten, Lagern, Liegen und Lehnen, Umschließen und Bergen, Aufheben, Tragen, auch Wachsen; seltener horizontale Bewegungen. All dies geschieht nicht demonstrativ, eher mit beiläufiger Selbstverständlichkeit, dabei präzise und schnörkellos. Die Stücke von Inge Schmidt sind auf eine betörende Weise karg, auch streng und konzentriert und zugleich spielerisch, mitunter eigensinnig komisch. Mithin zeigen sie sich als Individuen, wissen sich als Einzelstücke zu behaupten und können – auf Tischen, Gestellen, an der Wand, am Boden – Familien und Gruppen bilden, sind alle miteinander eine Gesellschaft.

Jens Peter Koerver, 2010