INGE SCHMIDT   Bildhauerin
Inge Schmidt - Sehr höfliche Geister

Was doch alles in den unscheinbarsten Dingen steckt! Ein bezauberndes Nichts, ein vertrocknetes Blatt, ein Stück Kordel, etwas Karton - Inge Schmidt, die Bildhauerin und Zeichnerin, entdeckt in der kleinsten Kleinigkeit ein Potential, das einzigartig ist, durch nichts anderes zu ersetzen. Es kommt zum Tragen in dem Moment, in dem Beziehungen hergestellt werden. Bis es soweit ist, bis der Funke der Belebung aus dem toten Material schlägt, braucht es Geduld und Einsicht in die Besonderheit des Fragilen. Im vorsichtigen Hantieren, Zerlegen und Zusammensetzen nehmen die Artefakte allmählich Gestalt an. Und zwar eine zwingend durchformte, wenn auch nicht erzwungene, die trotz aller Unbestimmtheit Verhältnisse auf den Punkt bringt. Die Wahl des Materials und Handwerkszeugs folgt augenscheinlich gewissen Vorlieben, aber es gibt kein vorformuliertes Ziel. Im aufmerksamen Umgang mit dem, was da ist, erinnert die Künstlerin an ein Medium, das selbst nicht weiß, wohin die Reise geht. Daher ist dieses Werk so offen und vielgestaltig. Manchmal sind auch mehrere Lösungen möglich. Das Arbeiten in Folgen, wie es vor allem bei den Künstlerbüchern, den Leporellos und Mappen praktiziert wird, liegt nahe. So können sich die Möglichkeiten in der Variation entfalten, und die Folgerichtigkeit wird in der Weiterentwicklung nachvollziehbar. Ein Gedanke kann sich über viele Seiten weiterspinnen, als ließen sich Raum und Zeit endlos ausdehnen. Die eindimensionale Linie fächert sich auf, schlägt spielerisch alle möglichen Windungen und Schnörkel, traut sich Sprünge und Brüche zu nach eigenem Gesetz. Ob figurative Elemente zur metaphorischen Zuspitzung beitragen oder die Bildsprache ganz im Gegenstandslosen bleibt - immer geht es darum, sich im Raum zu positionieren und zu behaupten. Hinter der anrührenden Ausdruckskraft der Skulpturen, Zeichnungen und Bücher Inge Schmidts steckt mehr als eine mit Witz und ironischer Distanz begabte Formsuche. Es ist der mal fröhliche, mal verzweifelte Mut zur Selbstbehauptung im vollen Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit.

Sabine Elsa Müller